Vorhersagbarkeit: das taktische Reifemodell für den Projektvertrieb

Vorhersagbarkeit für Umsatz und Auslastung – das taktische Reifemodell

Sie wünschen sich im Projektvertrieb mehr Vorhersagbarkeit für Umsatz und Auslastung. Vielleicht kennen Sie das: Allein die Bearbeitung von Anfragen ist schon sehr aufwendig und doch braucht es oft mehrere Angebote, bis sich der Kunde entscheiden will. Das ist Normalität für Einzelfertiger. Hinzu kommt: Die Anfrage ist individuell. Kein Serienprodukt, sondern Projektgeschäft und damit „Losgröße 1“. In der Praxis braucht es deshalb sehr schnell für die Klärung technischer Dinge einen Konstrukteur bzw. die Konstruktionsabteilung. Alternativ: einen sehr erfahrenen Projektleiter. So oder so: einen Experten. Der Name oder die Jobbezeichnung spielt keine Rolle. Wohl aber, dass kostenloses Engineering erbracht wird und diese Leute zu den teuersten gehören. Das sehen wir in der Praxis häufig. Unterm Strich: Ihr Kunde dominiert Aufwand und Arbeitszeit Ihrer Projektleiter. Kein guter Zustand. Vorhersagbarkeit geht anders. Wenn Sie im Unternehmen immer wieder solche Situationen erleben, ist dieser Beitrag eine große Hilfe für Sie.

Das taktische Reifemodell – Ihr Weg zur Vorhersagbarkeit

Lernen Sie in diesem Beitrag das taktische Reifemodell kennen. Ein erprobter Weg zur Steigerung der Vorhersagbarkeit von Umsatz und Auslastung.

Ziel ist es, dass zu jedem Zeitpunkt und für jede Anfrage vollkommen klar ist, was im Moment vom Kunden benötigt wird und im direkten Gespräch ermittelt werden muss, damit die Anfrage weiter im Vertrieb verbleiben oder disqualifiziert werden kann. Wir nennen die klare, sequentielle Anfragenbearbeitung den „Reifeprozess“ und wir verfolgen das Konzept der Arbeitsteilung im Vertrieb: Seit den 90ern ist empirisch erwiesen, dass vor allem anderen die schiere Zahl der Verkaufsgespräche bzw. Kundengespräche umsatzrelevant ist. Der Vertrieb kommt also am besten voran, wenn sich Projektleiter vornehmlich und fokussiert auf Kundengespräche mit höchster Auftragswahrscheinlichkeit konzentrieren und nichts sonst. Wir nennen solche Kundengespräche „taktische Gespräche“ und das Regelwerk, das den Umgang mit Anfragen regelt, „taktisches Reifemodell“. Damit schaffen Sie die Voraussetzung, die Arbeitszeit Ihrer Projektleiter – die teuersten Profis im Vertrieb – bestmöglich zu nutzen und nicht für „Nebentätigkeiten“ zu verschwenden. In Konsequenz werden in Ihrem Projektvertrieb…

  • kostenlose presales-engineering-Dienstleistungen vor Auftragserteilung vermieden
  • unpassende Anfragen frühestmöglich aussortiert
  • die Zeit Ihrer Projektleiter geschont
  • durch Standardisierung Arbeiten schneller aufteilbar
  • Kunden zum vorhersagbaren Zeitpunkt zur Entscheidung gebracht

Darüber hinaus schaffen Sie sich eine robuste Datenbasis mit der Sie genau messen können, an welcher Stelle Ihr Vertriebsprozess (= der Reifeprozess) am wirkungsvollsten beschleunigt werden kann. Stellen Sie zuerst sicher, dass die im Beitrag Projektvertrieb: So erhöhen Sie Umsatz, Auslastung und Vorhersagbarkeit genannten Veränderungsschritte bzw. Voraussetzungen (Leistungssegment definiert und Transparenz geschaffen) durchgeführt sind und die dort genannten, erwarteten Effekte eintreten. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, werden Sie mit den nachfolgenden Schritten Erfolg haben. Dabei empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

Schritt 1: Reifeprozess bestimmen

Bestimmen Sie Reifegrade, anhand ihrer Eigenschaften (Notwendigkeitsbedingungen) und die Reihenfolge (Sequenz), in der sie zueinander stehen. Es geht darum, den Weg neuer Anfragen vom Eingang ins Unternehmen bis zum Auftrag (= Auftragsreife) zu verstehen. Um beim Begriff „Reifegrad“ zu bleiben: Je näher eine Anfrage dem Auftrag kommt, desto „reifer“ ist sie. In jedem Reifegrad erfüllt eine Anfrage genau definierte Eigenschaften (= Notwendigkeitsbedingungen). Das taktische Reifemodell beinhaltet die Reifegrade einer Anfrage auf ihrem Weg zum Auftrag. Es zielt auf Vorhersagbarkeit. Und es zielt darauf, Projektleiter auf „taktische Gespräche“ zu konzentrieren.

Reifegrade

In der Praxis erarbeiten wir 5-7 Reifegrade von Neueingang bis Auftrag und bestimmen für jeden Reifegrad, welche Eigenschaften eine Anfrage erfüllen muss, damit sie ihm zugeordnet werden darf. Beispielsweise:

  1. Reifegrad: „Anfrage“
    … ist eine bei Ihnen vollkommen ungeprüfte Interessebekundung eines Dritten, inkl. seiner Kontaktdaten.
  2. Reifegrad: „Bedarf“
    … ist eine Anfrage für eine von Ihrem Management genehmigte Erlösart. Ein Kollege nennt das „Bedarfs-Hinweis“. Mehr ist es nicht: Sie wissen, dass Sie dafür grundsätzlich ein Angebot machen könnten. Sie wissen noch nicht, ob Sie ein Angebot machen wollen!
  3. Reifegrad: „qualifizierter Bedarf“
    … ist ein „Bedarf“, bei dem Sie geprüft haben, ob die Beschaffungssituation des Kunden zu Ihrem Geschäftsmodell passt. Kurz, Sie wissen, dass der Kunde Ihre Leistung braucht, will und bezahlen kann.
  4. Reifegrad: „konstruierte Anlage“
    … ist ein „qualifizierter Bedarf“ und eine Leistung bzw. Anlage, wie Sie sie bereits schon zuvor konstruiert und gebaut haben. Eine Anlage, die Sie stante pede (= direkt und ohne inhaltliche Vorbereitung) in Produktion nehmen und an Ihrem Warenausgang bereit stellen könnten.
  5. Reifegrad: „Individualisierung“
    … ist ein Klärungsprozess, bei dem auf Basis einer „konstruierten Anlage“ alle Individualisierungen und Anpassungen an den künftigen Einsatzort vollständig geklärt werden. Es ist eine für den Kunden höchst individuelle Dienstleistung (Sie merken schon: das hört sich an, als ob es den Kunden Geld kostet…)
  6. Reifegrad: „Sonderanlage“
    … ist eine „konstruierte Anlage“ mit abgeschlossener und vollständig geklärter „Individualisierung“. Alle konstruktiven und bedarfsmässigen Annahmen sind geklärt und formuliert.

Sequenz

Sie können im o.g. Reifemodell bestimmen, dass ein Angebot für eine „Sonderanlage“ erst nach erfolgter „Individualisierung“ erstellt werden darf. Ist die „Individualisierung“ eine bezahlte Dienstleistung, kann Ihnen so kein „kostenloses presales engineering“ mehr passieren. Gut so.

Im Beratungsmandat diskutieren wir oft darüber, die Individualisierung als kostenpflichtige Leistung in den Vertriebsprozess und das Reifemodell einzubauen. Unsere Argumentation: Im Regelfall genügt es Ihrem Kunden in dieser Phase seiner Anfrage, wenn er seine Budgetvorstellung zunächst plausibilisieren kann. Eine „konstruierte Anlage“ reicht dafür. Somit kann er in einer frühen Phase seiner Planung ohne finanziellen Aufwand herausfinden, ob sich die weitere Verfolgung seines Anliegens lohnt. Das Reifemodell zielt dabei auf Augenhöhe zwischen Ihrem Kunden und Ihnen: Wenn Sie individuelles Engineering (= „Individualisierung“) für Ihren Kunden betreiben, dann ist ein Angebot erst danach – im 7. Reifegrad – möglich. Zuvor muss der Kunde z.B. sein Budget offenlegen, d.h. die Ernsthaftigkeit seiner Anfrage und die Kompatibilität zu Ihrem Geschäftsmodell glaubhaft machen.

In der Praxis braucht der Vertrieb dafür Mut und einen langen Atem. Dann kann der Vertrieb Widerstände aushalten und muss nicht sofort JA sagen und sich „in ein Angebot flüchten“. Gleichwohl hilft dieser Mut dabei, nicht zu ihrem Geschäftsmodell passende Anfragen frühestmöglich zu erkennen und auszusortieren (=zu disqualifzieren). Für Ihre Abläufe bzw. die Organisation des Projektvertriebs sind eine festgelegte Sequenz und klar definierte Eigenschaften der Reifegrade eine wertvolle Basis.

Schritt 2: Ausschlusskriterien festlegen

Bei der Klärung des Reifeprozesses haben Sie bereits definiert, welche Eigenschaften eine Anfrage haben muss, damit sie im Reifemodell den nächsten Grad erreicht. Ein Punkt ist dabei besonders wichtig: Bestimmen Sie Kriterien, mit denen Sie unpassende Anfragen direkt disqualifizieren können. Ein solches Kriterium könnte die Verweildauer einer Anfrage innerhalb eines Reifegrads sein. Beispiel: Ein Kunde schiebt die Nennung seines Budgets immer wieder hinaus und schlägt Ihnen vor, derweil das Angebot vorzubereiten, damit sein Termin gehalten werden kann und keine Zeit verloren geht. Mal ehrlich – wenn sein Terminmanagement schon in dieser Phase nicht klappt, wie wird es dann erst im Auftrag laufen: Für wie wahrscheinlich ist es Ihrer Erfahrung nach, diesen ohne Rückfragen, Terminverschiebungen und Feuerwehreinsätze als Referenzprojekt abwickeln zu können?

Tipp aus der Praxis: Arbeiten Sie nach dem Frischmilch-Prinzip und versehen Sie jeden Reifegrad mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum. Steckt eine Anfrage darüber hinaus fest, ist sie überreif: Sie wird disqualifiziert. Säubern Sie Ihren Kühlschrank von abgelaufener Frischmilch: Schimmelmilch macht krank!

Entscheiden Sie auch, ob Sie zu frühe Anfragen bearbeiten oder disqualifizieren wollen: Werden Anfragen vor dem Hintergrund Ihrer Lieferzeit zu früh vor SOP gestellt, hat der Kunde keinen Entscheidungsdruck und lädt auch noch Extra-Wettbewerb zum Austausch über Ihr Angebot und Engineering ein. Darüber hinaus: Wenn Sie für Ihre Leistungserfüllung vom Kunden Beistellungen benötigen, können Sie sehr schnell diejenigen Anfragen disqualifizieren, bei denen Fullkit fehlt. Schließlich können Sie auch Großaufträge disqualifizieren, wenn eine Anfrage in die Nähe Ihrer Großauftragsgrenze (Sie haben eine definiert, oder?) kommt. Sie würden sich damit Risiken ins Unternehmen holen, gegen die Sie sich aus gutem Grund entschieden haben.

Grundsätzlich gilt: je früher Sie disqualifizieren, desto höher Ihr Zeitgewinn (für passende Anfragen). Je später Sie disqualifizeren, desto höher Ihr Lerngewinn (für das Herausarbeiten künftig noch früher wirkender Ausschlusskriterien). Wenn Sie konsequent nach Vorhersagbarkeit streben, werden Sie an dieser Stelle immer mutiger werden.

Schritt 3: Fortschritte protokollieren

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Schön, wenn Sie Reifegrade, Sequenz und Ausschlusskriterien festgelegt haben. Aber schade, wenn es nicht konsequent gelebt wird.

Deshalb: prüfen Sie, inwieweit das Reifemodell in Ihrem CRM-System z.B. als Vorlage oder Pipeline (oder wie auch immer das System das nennt) abgebildet werden kann. Stellen Sie sicher, dass jeder Reifegrad mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen werden kann und platzieren  Sie die festgelegten Eigenschaften in Checklisten-Feldern, nicht im Fließtext. Der Grund? Mit Checklisten-Feldern können Sie…

  • Ihre Vertriebsprozesse immer wieder überprüfen
  • sehen, wie viele aktive Anfragen in welchem Reifegrad in Ihrem System sind und
  • wo sich Engpässe aufbauen (Anfragen stapeln) oder
  • welcher Reifegrad welche Umwandlungsrate hat bzw.
  • wie lange Anfragen in welchem Reifegrad stecken

„ZDF“, also Zahlen, Daten und Fakten lassen sich auch über Reifegrade hinweg einfacher mit Checklisten-Feldern auswerten, als mit Fließtext. Die Voraussetzung für die Auswertung ist einfach: Jede für das Reifemodell relevante Information und Statusänderung einer Anfrage wird protokolliert.

Fazit

Erstellen Sie für jede Erlösart ein Reifemodell. Damit unterstützen Sie Ihren Projektvertrieb erheblich: nicht passende Anfragen werden frühestmöglich erkannt und disqualifiziert. Im Vertrieb bleibt mehr Zeit für die passenden Anfragen. Bei Anwendung der entsprechenden Sequenz vermeiden Sie kostenloses presales-engineering und stellen sicher, dass Anfragende nicht mehr Zeit und Aufwand Ihrer Projektleiter dominieren. Entsprechende CRM-Unterstützung vorausgesetzt, wird Ihre Sicht auf Ihre Vertriebspipeline sehr klar, was die Prognose-Genauigkeit bzw. die Vorhersagbarkeit des Auftragseingangs für Ihr Projektgeschäft maßgeblich erhöht. Ihnen viel Erfolg bei der Einführung Ihres taktischen Reifemodells!

Zu Risiken und Nebenwirkungen: Wenn Ihr Vertrieb Anfragen schneller abarbeitet als bisher, benötigen Sie mehr neue Anfragen als bisher. Wie Sie die generieren lesen Sie in: Das unwiderstehliche Angebot